Dodgson
Lewis Dodgson saß zusammengesunken in einer dunklen Ecke der Chesperito Cantina in Puerto Cortés und nippte an einem Bier. Neben ihm saß George Baselton, der Professor für Biologie in Stanford, und verschlang mit Begeisterung eine Portion huevos rancheros. Eigelb vermischte sich auf seinem Teller mit grüner salsa. Dodgson wurde schon bei dem Anblick übel. Er wandte sich ab, konnte aber noch hören, wie Baselton sich geräuschvoll die Lippen leckte.
Sonst war niemand in der Bar, nur einige Hühner gackerten auf dem Boden. Hin und wieder kam ein Junge zur Tür, warf eine Handvoll Steine nach den Hühnern und lief kichernd wieder davon. Aus vergammelten Lautsprechern schepperte ein alter Elvis-Presley-Song. Dodgson summte Falling in Love with You und versuchte, die Beherrschung zu wahren. Seit fast einer Stunde saß er schon in diesem verdammten Loch.
Baselton aß seine Eier zu Ende und schob den Teller weg. Dann zog er das kleine Notizbuch hervor, das er überallhin mitnahm.
»So, Lew«, sagte er. »Ich habe mir ein paar Gedanken gemacht, wie wir diese Sache deichseln.«
»Was denn deichseln?« fragte Dodgson gereizt. »Es gibt nichts zu deichseln, außer wir schaffen es, auf diese Insel zu kommen.« Im Reden klopfte er mit einem kleinen Foto von Richard Levine auf den Tisch. Drehte es um. Starrte die Rückseite an. Dann die Vorderseite.
Er seufzte und sah auf die Uhr.
»Lew«, sagte Baselton geduldig, »auf die Insel zu kommen ist nicht das Wichtigste. Das Wichtigste ist, wie wir unsere Entdeckung der Welt präsentieren.«
Dodgson zögerte einen Augenblick. »Unsere Entdeckung«, wiederholte er dann. »Das gefällt mir, George. Das ist sehr gut. Unsere Entdeckung.«
»Na, das ist doch die Wahrheit, nicht?« erwiderte Baselton mit unverbindlichem Lächeln. »InGen ist bankrott, die Technologie ist für die Menschheit verloren. Ein tragischer, tragischer Verlust, wie ich es schon so oft im Fernsehen gesagt habe. Aber unter diesen Umständen macht jeder, der sie wiederfindet, eine Entdeckung. Ich weiß nicht, wie man es sonst nennen sollte. Wie schon Henri Poincaré sagte –«
»Okay«, sagte Dodgson. »Dann machen wir also eine Entdeckung. Und dann? Halten wir eine Pressekonferenz ab?«
»Natürlich nicht«, rief Baselton mit entsetzter Miene. »Eine Pressekonferenz wäre unpassend. Damit würden wir uns aller möglichen Kritik aussetzen. Eine Entdeckung dieser Tragweite muß mit Stil behandelt werden. Es muß darüber berichtet werden, Lew.«
»Berichtet?«
»In der Literatur. In Nature, könnte ich mir vorstellen. Ja.«
Dodgson kniff die Augen zusammen. »Sie wollen das in einer akademischen Publikation bekanntmachen?«
»Kennen Sie eine bessere Möglichkeit zur Legitimierung?« erwiderte Baselton. »Es ist durchaus angemessen, diese Entdeckung unseren gelehrten Kollegen zu präsentieren. Natürlich wird das eine Debatte auslösen – aber was für eine? Akademisches Gezänk, ein Professor hackt auf den anderen ein, und das Ganze wird drei Tage lang die Wissenschaftsseiten der Zeitungen füllen, bis es von den neuesten Meldungen über Brustimplantate verdrängt wird. Und in diesen drei Tagen haben wir unsere Ansprüche geltend gemacht.«
»Und Sie schreiben den Artikel?«
»Ja«, antwortete Baselton. »Und ich glaube, später dann noch einen Artikel im American Scholar oder vielleicht in der Natural History. Was von der Entdeckung von allgemeinem Interesse ist, was sie für die Zukunft bedeutet, was sie uns über die Vergangenheit verrät und so weiter …«
Dodgson nickte. Er sah, daß Baselton recht hatte, und wurde wieder einmal daran erinnert, wie sehr er ihn brauchte und wie klug es gewesen war, ihn mitzunehmen. Dodgson dachte nie an die öffentliche Reaktion. Baselton dagegen an nichts anderes.
»Das ist ja alles schön und gut«, sagte Dodgson. »Aber leider ohne Bedeutung, wenn wir es nicht auf die Insel schaffen.« Er sah noch einmal auf die Uhr.
Er hörte hinter sich die Tür aufgehen, und sein Assistent Howard King kam mit einem kräftigen, schnurrbärtigen Costaricaner im Schlepptau herein. Der Mann hatte ein sonnengegerbtes Gesicht und blickte mürrisch drein.
»Ist das der Kerl?« fragte Dodgson.
»Ja, Lew.«
»Wie heißt er?«
»Gandoca.«
»Señor Gandoca.« Dodgson hielt ihm Levines Foto hin. »Kennen Sie diesen Mann?«
Gandoca warf nur einen flüchtigen Blick auf das Foto. »Sí. Es Señor Levine.«
»Stimmt. Der beschissene Señor Levine. Wann war er hier?«
»Vor ein paar Tagen. Ist mit Dieguito, meinem Cousin, losgefahren. Sie sind noch nicht zurück.«
»Und wo sind sie hin?«
»Isla Sorna.«
»Gut.« Dodgson trank sein Bier aus und schob die Flasche von sich weg. »Haben Sie ein Boot?« Er wandte sich an King. »Hat er ein Boot?«
»Er ist Fischer«, sagte King. »Also hat er auch ein Boot.«
Gandoca nickte. »Ein Fischerboot. Sí.«
»Gut. Ich will auch auf die Isla Sorna.«
»Sí, Señor, aber heute ist das Wetter –«
»Das Wetter ist mir egal«, sagte Dodgson. »Das Wetter wird schon besser. Ich will sofort fahren.«
»Später vielleicht –«
»Sofort.«
Gandoca breitete die Hände aus. »Es tut mir sehr leid, Señor –«
King öffnete eine Aktenmappe. Fünf 1000-Colon-Scheine lagen darin. Gandoca riß die Augen auf, nahm einen der Scheine, untersuchte ihn. Dann legte er ihn wieder zurück und trat von einem Fuß auf den anderen.
»Ich will sofort fahren«, sagte Dodgson.
»Sí, Señor«, sagte Gandoca. »Wir brechen auf, wenn Sie fertig sind.«
»Klingt schon besser«, sagte Dodgson. »Wie lange dauert es bis zur Insel?«
»Ungefähr zwei Stunden, Señor.«
»Gut«, sagte Dodgson. »Sehr gut.«